Karl Ristikivi (1912–1977) ist einer von Tausenden Esten, die 1944 vor den Sowjets in den Westen flohen. Bis zu seinem Tod lebte er in Stockholm. "Die Nacht der Seelen" erschien 1953, ein existenzialistischer Exilroman mit surrealistischen Zügen, der seine persönliche Lebenssituation aufgreift. Der Ich-Erzähler, Ristikivis Alter Ego, betritt in der Silvesternacht ein offenstehendes Haus aus Neugier und in der Erwartung, dort Gesellschaft und Unterhaltung zu finden. Schnell wird aber klar, dass der Weg immer tiefer in das Haus hinein auch ein Weg in das eigene Innere, in die eigene Geschichte ist. Plötzlich fällt der Strom aus – es muss ein Verbrechen passiert sein. Der Prozess, der anschließend abgehalten wird, fokussiert aber gar nicht so sehr das mögliche Verbrechen, sondern richtet den Blick vielmehr auf das Menschenleben an sich und die Verfehlungen des Ich-Erzählers im Besonderen.
Meisterhaft versteht es Ristikivi, uns Leser mit Spannung und einer existenziellen Verunsicherung wie den Protagonisten immer tiefer in das Buch hineinzuführen. Von Raum zu Raum, von Szenerie zu Szenerie, von Begegnung zu Begegnung wandeln wir durch das rätselhafte Haus und kommen doch nur bei uns selbst an. "Die Nacht der Seelen" ist ein widerspenstiger und tiefgreifender Roman über eine existenzielle Einsamkeit, aber auch ein Buch über das Schreiben, die Kunst und über die Schöpfungskraft der Phantasie. Maximilian Murmanns Übersetzung legt mit klarer und präziser Sprache den Blick auf einen Text frei, der alles zeigt und freimütig erzählt und der uns Leser dennoch wie ein scharfkantig funkelnder Spiegel auf uns selbst zurückwirft.