Zu den ersten Bildern, die vom Bau der Berliner Mauer um die Welt gingen, gehört jenes, das mit Maschinenpistolen bewaffnete Männer in einheitlichen Uniformen vor dem Brandenburger Tor zeigt. Diese Männer waren allerdings keine regulären NVA-Soldaten, sondern Angehörige der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, wie es damals hieß.
Angehöriger dieser Kampfgruppen ist auch der Vater des sechsjährigen Kindergarten-Jungen Andreas aus dem ein gutes Jahrzehnt nach der Errichtung der DDR-Staatsgrenze veröffentlichten Kinderbuches „Vater ist mein bester Freund“. Und er ist ein Bauarbeiter. Für diesen Sonnabend im zeitigen Frühjahr, als noch einige Schneereste an den vergangenen Winter erinnern, hat sich Papa eigentlich vorgenommen, mit seinem Sohn in den Zoo zu gehen – was lange Zeit nicht vorgekommen war:
Auf der Treppe fragt Andreas: „Papa, fahren wir morgen zum Tierpark?“
„Ja, Andreas. Morgen fahren wir“, sagt der Vater.
„Gucken wir zu, wie die Löwen gefüttert werden?“
„Natürlich sehen wir uns an, wie die Löwen gefüttert werden und die Tiger und die Leoparden und die Panther und die Bären. Vorher brüllen die vielleicht. Ist das ein Konzert, ich sage dir, Andreas. Wir hören uns das an, und wir schauen zu. Wir haben ja Zeit.“
Doch dann kommt es an diesem Sonnabendmorgen, am frühen Sonnabendmorgen, ganz anders. Statt des gemeinsamen Zoobesuchs steht für den Bauarbeiter-Vater ein überraschender Kampfgruppen-Alarm auf dem veränderten Tagesprogramm. Vielleicht nur eine Übung? Vielleicht aber auch ein echter Einsatz, weil Feinde in unser Land oder in unserer Stadt eingedrungen und Böses tun wollen.
„Was wollen sie denn Böses tun?“, fragt Andreas aufgeregt.
„Eine Eisenbahnbrücke sprengen. Über die fahren viele Züge. Oder unser Haus zerstören, das wir gerade bauen. Ein sehr schönes Haus ist das. Unseren großen Kran …“
Der enttäuschte Andreas will mit zur Kampfgruppe. Aber das geht natürlich auch nicht. Weil er zu klein ist. Und aus einem anderen Grund:
Vater sagt: „Du musst das einsehen, Andreas. Ich möchte auch lieber mit dir spazieren gehen. Aber wenn Kampfgruppenalarm ist, darf ich das nicht tun. Doch in den Tierpark gehen wir, mein Ehrenwort.“
Am Abend erzählt der Vater von seinem erfolgreichen Kampfgruppeneinsatz, bei dem feindliche Fallschirmspringer daran gehindert worden waren, Böses zu tun und den friedlichen Aufbau des Sozialismus zu stören, und Papa verspricht seinem Sohn erneut, am Sonntag in den Tierpark zu gehen. Aber auch da kommt wieder was dazwischen.