Wien ist nicht immer die Stadt der Walzer und der Lebensfreude gewesen. In den Jahren 1927 bis 1934, in denen Elisabeth Herings Roman spielt, war die Hauptstadt Österreichs vom Fieber innerer Unruhen geschüttelt. 1927 kam es infolge eines Justizskandals zum Aufstand der Wiener Arbeiter und zum Brand des Justizpalastes, 1934 zu nationalistischen Unruhen und zur Ermordung des Kanzlers Dollfuß; der Faschismus begann auf Österreich überzugreifen. Diese Zeitumstände prägen die Entwicklung der Romanheldin, eines jungen Mädchens, dessen Mutter mit ihren beiden Töchtern von Siebenbürgen nach Wien übergesiedelt ist. Agnes Thieß macht sich von der konservativen Starrheit ihrer Familie frei; sie strebt nach persönlicher und beruflicher Selbstständigkeit. Sie verliert schließlich Familie und Heimat, gewinnt aber die Erkenntnis ihrer Lebensaufgabe und einen gleichgesinnten Freund, einen Architekten des Dessauer Bauhauses, mit dem sie als Ethnologin nach Mexiko geht.
Der Roman entfaltet in spannenden Schilderungen ein breites Panorama der damaligen Situation in Österreich und Siebenbürgen. Er ist ein Entwicklungsroman, den man mit großer innerer Anteilnahme liest; gleichzeitig aber gibt er ein bewegtes Bild des Lebens in Wien, über dem die Bedrohung wie eine Wolkendecke hing. Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler, morbide Adlige und kämpfende Arbeiter, Satte und Hungrige, Geschäftemacher und Karrieristen, Menschen im Ringen um ihre wirtschaftliche und geistige Existenz und um eine bessere Zukunft ? sie alle kreuzen oder begleiten den Weg, auf dem das Mädchen Agnes unbeirrt Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit sucht und zur verantwortungsbewussten Persönlichkeit wird.
1 Kommentar zu „Wolken über Wien“
Mehr lesen Ausblenden Ausblenden