Der Reisebus hielt und ich war da. Lodz meine Heimat auf Zeit. Mitten in Polen. Ein Jahr als Freiwilliger lag vor mir. Und dann war da diese polnische Sprache. Zungenbrecher. Ein ewiges Nachschlagen im Wörterbuch. Doch ein Wort begleitete mich täglich - Obiad. Ohne anfänglich zu wissen, was dieses Wort bedeutet, wurde es zur Überschrift für mein Jahr. Öffnete mir Türen und ließ mich durch meine tägliche Arbeit mit Überlebenden unterschiedlicher Ghettos und Konzentrationslager hinter die Kulisse deutsch-polnischer Geschichte blicken. Fakten - anonyme Jahreszahlen - die ich bisher nur aus Büchern kannte, bekamen auf einmal Gesichter und wurden bei meinen Besuchsdiensten konkret, stellten mir unausweichliche Fragen. Welche historische Hypothek trage ich als junger Mensch? Wie entschuldigt man sich für etwas, für das es in seiner Abscheulichkeit keine Worte gibt und für das man selbst nichts kann? Warum ist Schweigen die Sprache des Schmerzes? Weshalb klagte mich keiner der Überlebenden an? Polen auf seine Geschichte - den Holocaust - zu reduzieren, wird diesem wunderschönen Nachbarn nicht gerecht. Ich packte meinen Rucksack, reiste in meinem Jahr als Freiwilliger und lernte dabei dieses Land lieben. In monatlichen Briefen zu den verschiedensten Themen schrieb ich an Freunde und Bekannte über meine Eindrücke und tiefen Begegnungen. Heute weiß ich, Obiad bedeutet mehr als nur Mittagessen!