Wie der deutsche Jüngling zum beredten Franzosen wurde – dies ist die Leitfrage der umfangreichen Analyse von Knabenlehrwerken des 19. Jahrhunderts aus Deutschland. Ein kurzer historischer Überblick über die Geschichte des Französischunterrichts in Deutschland und die Entwicklung der verschiedenen Schultypen im 19. Jahrhundert leitet die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Französischlehrbüchern ein. Aline Willems analysiert die Primärwerke bekannter Sprachmeister – wie Meidinger, Seidenstücker oder Ploetz – aus fünf verschiedenen Perspektiven, um die Entwicklung der Gattung im Laufe der Epoche zu zeigen, welche vom grammatiktheoretischen, didaktisch-methodischen, politischen und kulturhistorischen Wandel beeinflusst wird. Dabei beleuchtet sie vor allem auch den Übergang von der klassischen Grammatik-Übersetzungs-Methode (GÜM), die sie in ihrer sehr heterogenen Ausprägung darstellt, zur Reformmethode. Unter anderem zeigt Willems dabei auf, dass bereits zur Zeit der GÜM von einigen Lehrbuchautoren alternative Vorschläge zu Unterrichtsinhalten und -methoden entwickelt wurden, um den Kindern den Erwerb kommunikativer Kompetenzen in der Zielsprache zu erleichtern, anstatt den Fokus des Fremdsprachenunterrichts nur auf die formale Bildung zu legen. Außerdem macht sie deutlich, dass einige Verfasser ihre Werke mitnichten ausschließlich dem Unterricht der fremden Sprache widmen, sondern diese zusätzlich als Medium eines andauernden sprachtheoretischen Diskurses nutzen.
Willems‘ Untersuchung des historischen Korpus unterstreicht auch für den Bereich des Schulbuches, das bis heute oft als zentrales Medium des Unterrichts betrachtet wird, dass Neuerungen nicht im Vakuum entstehen, sondern durch Variation bereits bekannter Elemente. In diesem Sinne können und sollten Erkenntnisse der historischen Schulbuchforschung auch aktuelle Diskussionen um Lehrmethoden und -ziele im Zeitalter von Bildungsstandards positiv beeinflussen.