Welche Anziehungskraft liegt in diesen Geschichten, die ein Grieche namens Homer vor rund 27 Jahrhunderten in 12.109 Verszeilen festhielt? Warum wurden die kruden Erlebnisse einer Fantasiegestalt nicht längst vergessen, sondern durch sehr unterschiedliche Epochen weitergetragen. Die Oberfläche der Erzählung, die Erscheinungsbilder allein erklären den Erfolg nicht. Einige Schichten tiefer ist eine zuverlässige Antwort zu finden: Es sind musterartige Situationen, in denen Leser aller Epochen immer wieder Eigenes entdecken. Der Aufbruch, um ein bestimmtes Ziel zu ereichen. Zwischenfälle unterwegs, die in eine andere, oft in entgegen gesetzte Richtung treiben. Das Eingefangensein in Umstände und die (bisweilen brutale) Befreiung daraus. Verführungen, denen man eine Zeitlang freudig nachgibt. Der nie ganz aufgegebene Traum vom Happy End.
Die Odyssee als Lebensform und Lebenslinie: eben dies ist das Thema des vorliegenden Buches. Es liefert hierzu einen philosophischen Essay. Darin aber werden Fragen und Antworten nicht in allgemeinen Aussagen und Grundsätzen diskutiert; der Autor bevorzugt das narrative Philosophieren, das wie jedes Erzählen konkret, anschaulich, tatsachenbezogen bleibt. Ein ideales (und zur Nachahmung empfohlenes) Arbeitsmittel ist hierbei das Tagebuch. Ein Mensch nimmt Tatsachen zu Protokoll, setzt sich mit ihrer Bedeutung - ihrem Zweck und Sinn - auseinander und kann versuchen, seinen Umgang mit der Welt jenen Deutungen anzupassen, die er gewonnen hat.