Seine Mutter nannte ihn nur ein Ungeheuer von einem Menschen, von der Natur nur begonnen und nicht vollendet. Und wenn sie jemanden für besonders dumm hielt, meinte sie, der sei ja blöder als ihr Sohn Claudius.
Tiberius Claudius Drusus (10 v. Chr. – 54 n. Chr.) wurde mit mehreren Behinderungen geboren, und niemand hätte diesem „Unvollendeten“ vorausgesagt, er werde an der Schwelle zum Greisenalter die höchste Würde erlangen, die Rom zu seiner Zeit zu vergeben hatte. Eher zufällig fiel dem Fünfzigjährigen der Thron zu wie eine überreife Frucht. Entgegen allen Erwartungen sorgte er als Kaiser jedoch für manche Überraschung. Er erwies sich als umsichtiger Verwalter und konnte sogar, ohne je auf diese Aufgabe vorbereitet worden zu sein, wichtige militärische Erfolge vorweisen. In einem Blitzfeldzug eroberte er Teile Britanniens (Südenglands), die für fast 400 Jahre dem römischen Imperium zugehörig blieben.
Seine größte Leidenschaft gehörte jedoch den Wissenschaften und den Frauen, bei denen er trotz seiner Behinderung sehr begehrt war, wenn auch nur wegen seiner einzigartigen Stellung. Vier Ehen brachten ihm aber nicht das ersehnte Glück.
Mit der gebotenen Behutsamkeit des neuzeitlichen Forschers nähert sich Ute Schall dem ungewöhnlichen Herrscher, indem sie vor allem alte Quellen vergleichend heranzieht und auswertet.