Im Zuge der Ausdifferenzierung von globalen Märkten, von digitalen Kommunikationsformen und transnationalen Verflechtungsdynamiken scheint die territoriale Ordnung von Staaten mehr und mehr an Bedeutung zu verlieren. Gehört das Zeitalter territorialer Herrschaft der Vergangenheit an? Werden wir irgendwann in einem Europa ohne Grenzen leben? Ohne Zweifel gewinnen supranationale Organisationen wie die Europäische Union an Einfluss auf politische, ökonomische, soziale und kulturelle Prozesse.
Beim gegewärtigen Wandel von Souveränitätsansprüchen, Staatlichkeitstheorie und räumlichen Ordnungskonzepten setzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen an. Sie nehmen einen Europäisierungsprozess in den Blick, durch den sich nicht nur individuelle Rechtsansprüche und Zugangsbedingungen zu Märkten und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen verändern, sondern durch den sich neue Formen territorialer Herrschaft ausbilden. Territorialisierung ist zwar weiterhin eine zentrale Strategie, mit der soziale Prozesse gerahmt, Zugehörigkeiten bestimmt sowie Herrschafts- und Gültigkeitsräume definiert werden, nur liegen die Zuständigkeiten hierfür nicht mehr nur bei einem, sondern bei einer Vielzahl von nunmehr eingeschränkten Souveränen.
Obgleich sich Territorialität also gravierend verändert, werden die Raumbezüge politischen Ordnungshandelns in der Europäischen Union keineswegs schwächer, wohl aber komplexer. Postsouveräne Territorialität stellt eine historisch gewachsene, wenn auch bisher einzigartige Form kontinentaler Raumordnung dar, die sich im Kontext der europäischen Integration ausgebildet hat und die sich gegenwärtig und mit durchaus offenem Ende weiter fortschreibt.