Es war eine laue Vollmondnacht, als eine dunkel gekleidete Gestalt durchs schlafende Sankt Johann schlich. Immer wieder schaute sie sich um und vergewisserte sich, daß ihr niemand folgte. Alois Brandhuber, allgemein nur der »Brandhuber-Loisl« genannt, hatte seine Gründe dafür. zur Herstellung seiner Tees, Salben und Tinkturen benötigte. bestimmter Faktoren, von denen das gesamte Gelingen abhing. Zum einen mußte es der rechte Zeitpunkt sein – unbedingt Vollmond –, es mußten die richtigen Worte gesprochen werden, um die Pflanzenkräfte zu beschwören, und es durfte niemand dabeisein und die Zauberworte hören, der nicht ein Eingeweihter war. Deshalb schlich Loisl kurz nach Mitternacht los – in der Hand einen Korb aus Weidenruten – wenn er sicher sein konnte, daß die Leute friedlich in ihren Betten lagen und schliefen. Der Wunderheiler, wie er sich gerne von seinen Kunden nennen ließ, hatte schon sehnlichst auf diese Nacht gewartet, war sein Vorrat an Salben und Tees seit der letzten Dekade doch beträchtlich geschrumpft. Dies verdankte er weniger seinen dubiosen Künsten, als vielmehr seiner Fähigkeit, den Leuten Krankheiten einzureden, die sie gar nicht hatten, und ihnen dann seine Mittelchen zu verkaufen. Nicht wenige seiner »Patienten« sorgten durch Mundpropaganda für reißenden Absatz. Sehr zum Leidwesen des jungen Dorfarztes Dr. Toni Wiesinger. Der sympathische Mediziner hatte größte Mühe, die Leute davon zu überzeugen, daß er ein ›richtiger‹ Arzt war. In Sankt Johann war man der Meinung, wer keine grauen Haare hatte und nicht gebückt ging, konnte kein Arzt sein. So war nämlich das Bild des verstorbenen Arztes, Dr. Bechtinger, gewesen, der mehr als vierzig Jahre in Sankt Johann praktiziert hatte. Vor einem guten halben Jahr war Dr. Bechtinger gestorben, noch bevor er den verdienten Ruhestand antreten konnte, und Dr.