Rainer Maria Rilke (1875–1926) war nicht nur einer der größten deutschen Dichter, sondern auch ein "Gottsucher", der jedoch ganz eigene Wege ging. Abgeschreckt vom bigotten Katholizismus seiner Mutter, wandte er sich zunächst vom Christentum ab und suchte Inspirationen auf andere Weise. In München-Schwabing traf er um 1900 auf Künstler, Esoteriker und Anthroposophen, die ähnlich wie er auf der Suche nach individuellen spirituellen Erfahrungen waren, darunter Paul Klee, Franz Marc, Stefan George und Rudolf Steiner. Rilke suchte das "Göttliche" nicht in fernen transzendenten Himmeln, sondern im "Hiesigen": in der Magie der Natur und in der Aura einfacher Alltagsdinge, die er in einer unnachahmlichen Sprache zu beschreiben wusste. In seinem Buch zeigt Rüdiger Sünner, dass Rilke auch heute noch die Bedürfnisse vieler Menschen anspricht, die – enttäuscht von traditionellen Religionen – auf der Suche nach dem sind, was seit Tausenden von Jahren mit der Metapher "Gott" umschrieben wird. Rilke nähert sich dem subtil an, ist undogmatisch, auch im Kampf mit den dunklen Seiten Gottes. Und er ist aufgeschlossen gegenüber spirituellen Traditionen, befragt Buddhismus, Islam, ägyptische und griechische Mythen und sogar okkulte Strömungen wie Theosophie und Spiritismus. Ein aufgeklärter Europäer, offen für die Traditionen der Mystik, der wichtige Inspirationen schenken kann.