In der vergangen Zeit sind im deutschsprachigen Raum nur wenige Werke erschienen, die das Mitleid in ihr Zentrum stellen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um essayistische und journalistische Zusammenstellungen unkommentierter Textpassagen aus philosophischen Werken oder um Versuche, Mitleid im Rahmen christlicher oder anderer religiöser Strömungen zu verankern. Das vorliegende Buch löst Mitleid gänzlich aus dem religiösen und quasireligiösen Dunstfeld und erklärt es, auch in Anlehnung an neuere und neueste Erkenntnisse der Hirnforschung, als eine dem Menschen inhärente Fähigkeit, sich aktiv gegen Gewalt und Hass zu stellen und Leiden zu verhindern.
Im Mittelpunkt des Buches steht das ethische Prinzip Mitleid, genauer compassion. Gemeinsam mit dem von Kant entwickelten vernunftbegründeten kategorischen Imperativ bildet es die Grundlage einer religionslosen, mündigen Ethik, die nicht göttlich verordnet, sondern vom Menschen selbst anerkannt, gewollt werden muss. Weder Zwang oder vermeintlich göttliche Herkunft und Anweisung noch die autokratischen Forderungen quasireligiöser Systeme, sondern Einsicht, Anerkennung und Erkenntnis führen zum allgemeinen Geltungsanspruch.
Auch der Aspekt Erziehung und Bildung rückt in den Vordergrund. Vor dem Hintergrund der sämtliche Lebensbereiche durchwirkenden medialen Beeinflussung durch soziale Netzwerke, die die Lebensgestaltung vieler Kinder und Jugendlicher bestimmt, und staatliche Gleichschaltungsbestrebungen wie, um nur ein Beispiel zu nennen, in Russland durch die Bildung von teilweise militärischen Jugendorganisationen, die der Bildung der HJ oder der MDM in nichts nachstehen. Die Antwort der damit verbundenen Frage nach dem 'Warum soll ich moralisch Handeln?' wird nicht außerhalb des Menschen gesucht, sie findet sich, ganz im Gegensatz zu religiös, quasireligiös oder politisch motivierten Ansätzen, ebenfalls als Fähigkeit des Menschen, der zur vernunftvollen Einsicht in die Richtigkeit moralischen Handelns in der Lage ist. Ein Handeln, das im Laufe des Buches definiert wird und nichts mit den gängigen Vorstellungen von relativierter, beliebiger Moral gemein hat.