Die russische Schriftstellerin Natalja Baranskaja (1908-2004) vergegenwärtigt sich in ihrer »Lebensbeschreibung« die Geschicke ihrer Familie vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. Ihre Eltern gehörten der illegalen revolutionären Untergrundbewegung an - ihre Mutter verkehrte mit dem jungen Lenin - und waren Mitglieder der sozialdemokratischen Arbeiterpartei seit deren Anfängen. Als politisch Verfolgte waren sie zu häufigen Ortswechseln gezwungen: Schauplätze ihrer frühen Kindheit sind Engelberg in der Schweiz, Berlin, München, Kopenhagen, später dann vor allem Moskau.
Die politische Geschichte ist präsent, aber das Hauptinteresse der Autorin gilt den persönlichen Schicksalen der Verwandten, Freunde, Menschen, die ihr in verschiedenen Epochen ihres Lebens und in unterschiedlichen Milieus nahe standen. Sie schildert den "alltäglichen Kleinkram des schäbigen, zerrütteten Lebens." Dieses Leben wird immer wieder bestimmt durch Verhaftungen und Verbannungen. Lebensentwürfe werden durchkreuzt, es gibt kein 'normales' Leben, alle sind "unbehauste Wanderer".
Viele Schauplätze, viele Personen, viele Schicksale, mächtige Ereignisse begegnen uns, immer geprägt durch die unverkennbare Stimme der Autorin, die sich über ihr Leben und ihr Land in schwieriger Zeit erinnernd klar werden möchte, nüchtern, mit feinem Humor, Schärfe des Blicks, mit grosser Menschlichkeit und Wärme.