Nancy Morejón ist schon zeitlebens eine klassische Autorin Kubas und Spanischamerikas. Sie schreibt hauptsächlich Poesie und Essays. Ihre Gedichte sind in viele Sprachen übersetzt worden, und sie hat zahlreiche Auszeichnungen auf internationaler Ebene erhalten. In diesem Band mit ausgewählten Gedichten wird deutlich, dass Morejón sich als Zeitzeugin des historischen Geschehens versteht. Als Richtschnur wählt sie die schwarze Hauptfarbe - mit dem Gedicht "Schwarze Frau" wurde sie 1975 bekannt. Das Poem »Im Oktober und der Wind« ist dem Monat der Stürme und Orkane in der Karibik gewidmet, als Kuba 1962 weltweit als Drehpunkt des Kalten Krieges wahrgenommen wurde. Diese "Schweinebucht-Krise" prägte nachhaltig Kubas politische und ökonomische Situation. Auch heute erregt das Land in der Presse immer noch Aufmerksamkeit. Havanna ist eine Kultstadt, deren Fotos von Gebäuden, Menschen und Straßen auf Pressefotos und in Dokumentarfilmen weit verbreitet sind.
Diese Stadt steht Morejón in ihren Gedichten vor Augen. Sie ist 1944 dort geboren und hat als Afrokubanerin hautnah die Verwandlung der Stadt im Sozialismus erlebt, die die alltägliche Diskriminierung keinesfalls beendet hat. Im Sozialismus war eine offene Auseinandersetzung mit diesem Thema nicht erwünscht. Morejóns Poesie ist jedoch davon geprägt. Diese Anthologie umfasst eine Auswahl von Gedichten, die zwischen 1967 und 2020 erschienen sind. Sie zeigt, wie sich anfänglicher Enthusiasmus und Hoffnung zu einem fast melancholisch anmutenden Gemütszustand gewandelt haben, die Verspieltheit ihrer Traumbilder und Metaphern jedoch erhalten geblieben ist. Das letzte Gedicht »Zwischen den Weiden« gedenkt dem Mord am George Floyd am 25. Mai 2020.
Augen ist auch als Einstieg in die Gefühlswelt der karibischen Kulturgeschichte zu verstehen, die hier in Dialog mit dem Alltagsleben in der kubanischen Hauptstadt Havanna in Einklang gebracht wird.