Die Philosophie im Mittelalter (500–1450) umfasst etwa tausend Jahre Reflexion in unzähligen Texten und in den unterschiedlichsten Sprachen (Latein, Griechisch, Arabisch, Persisch, Hebräisch und später in den volkssprachlichen Idiomen wie Italienisch, Deutsch, Französisch, Englisch und Katalanisch). In diesen Jahrhunderten trieb man Philosophie als Trost und Lebenslehre, als rationale Naturforschung, als Liebe zur Wahrheit, als Wissen um Jesus den Gekreuzigten, als orthodoxe Theologie, als mönchische Lebensführung oder als Kunst der okkulten Wissenschaften. Um dieser Vielfalt gerecht zu werden, versucht dieser Band, seinen Gegenstand nicht theoretisch-beurteilend, sondern historisch-deskriptiv zu erfassen.
Dieses Buch nimmt Abstand vom Bild des Mittelalters als einer dogmatischen Zeit, in der unter strenger Aufsicht der Kirche nur einige systematische «Denkkathedralen» in blinder Gläubigkeit an die Autorität des Aristoteles errichtet wurden. Mit Blick auf die philosophischen Entwicklungen in den byzantinischen, islamischen, lateinischen und jüdischen Kulturgebieten des Mittelalters registriert diese Philosophiegeschichte eine explosionsartige Zersplitterung ihres Gegenstandes und zugleich eine fortschreitende Vermehrung der philosophischen Sprachen, die zu einer radikalen Erweiterung des geographischen Raums der Philosophie im Mittelalter führte.