«Mitleid ist eine Form von Menschenverachtung. Wer einen andern bemitleidet, nimmt ihn nicht ernst, zwingt ihm eine hilflose Rolle auf.» Ingrid Häusler kämpft seit Jahren gegen Mitleid und Selbstmitleid, denn sie ist die Mutter eines behinderten Kindes. In diesem Bericht schildert sie ihre Alltagserfahrungen: wie sie nach und nach das Ausmaß der Behinderung erfährt, ihre hilflose Wut, ihre Einsamkeit und – ihre Emanzipation. Denn aus der beschädigten Mutterrolle – aus der Enttäuschung, daß sie kein gelungenes Ergebnis vorzeigen, also keine gesellschaftliche Anerkennung für ihre Mühe verbuchen kann – ergibt sich die Forderung, die eigene Identität, ihr Frauenbild, ihre Beziehungen zu ändern, neu zu ordnen. Auf der Suche nach den Ursachen der Behinderung, im Kampf gegen die Gleichgültigkeit der Umgebung erringt Ingrid Häusler wenig greifbare Erfolge, wohl aber ein neues Selbstbewußtsein und die Abkehr vom «Weiblichkeitswahn». «Mütter und Väter von behinderten Kindern haben die große Chance, sich von unmenschlichen Rollenzwängen zu lösen. Nur wer sich nicht auf ein Rollenbild reduzieren läßt, ist fähig, einem behinderten Kind den notwendigen Halt zu geben, ohne es abhängig zu machen. Ein behindertes Kind stellt die Aufforderung an die Mutter dar, ihr Leben und damit auch das ihres Kindes in die Hand zu nehmen und nicht in eine verkrampfte Opferhaltung zu verfallen.»