Der letzte große NS-Prozess ist zu Ende. John Demjanjuk wurde am 12. Mai 2011 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, wegen seines hohen Alters aber von der Haft verschont. Doch Zweifel bleiben. Was sagt der Prozess über die Schuld des Angeklagten? Und was sagt er über uns, die Nachgeborenen? Heinrich Wefing beschreibt den Prozessverlauf und schildert die verstörende Biographie dieses schlichten Mannes, der zwischen alle Fronten des 20. Jahrhunderts geraten ist. Ein aufwühlendes Buch über die späte deutsche Suche nach Gerechtigkeit.
Am 30. November 2009 wurde in München der Prozess gegen John Demjanjuk eröffnet. Die Anklage war der Schlusspunkt im abenteuerlichen Leben eines ukrainischen Bauern, der zwischen alle Fronten des 20. Jahrhunderts geraten ist. Wer ist dieser John Demjanjuk, der Soldat der Roten Armee war, Handlanger der Nazis, Fabrikarbeiter bei Ford und Häftling in einer israelischen Todeszelle? Und warum stand er jetzt in Deutschland vor Gericht – siebzig Jahre nach dem Völkermord? In Gestalt einer weit ausgreifenden Gerichtsreportage rekonstruiert dieses Buch den bizarren Lebensweg John Demjanjuks, in den alle Schrecken des 20. Jahrhunderts eingeschrieben sind: Krieg und Holocaust, der Ost-West-Konflikt, der Fall der Mauer und das Ende des Kommunismus. Das Verfahren gegen ihn war nicht bloß ein normaler Strafprozess: es war eine Gedenkveranstaltung für die Opfer der Naziverbrechen; es war eine Auseinandersetzung der deutschen Justiz mit dem eigenen Versagen nach 1945. Und es war ein letzter, fast verzweifelter Versuch, für Gerechtigkeit zu sorgen, solange wenigstens einige Opfer und Täter des Völkermordes noch am Leben sind.