Die Titelanlehnung an Adolph von Knigges berühmtes Werk «Umgang mit Menschen» hat H.-J. Gamm nicht zufällig gewählt. Denn der heute noch bekannte KNIGGE, das Benimmbuch in allen Lebenslagen, steckt nicht nur voller Anregungen, sondern stellt bereits 1788 fest, daß jeder qualitative Umgang mit anderen ebendiese Qualitäten im Umgang mit sich selbst voraussetzt. Ein «aufrichtiger und gerechter Freund» solle man sich sein, «Abrechnung» mit sich selber halten.
Heute wissen wir, daß die Identitätsfindung und das Akzeptieren des eigenen Ichs das Grundproblem des modernen Menschen darstellt. Da es keinen für alle verbindlichen religiös-weltanschaulichen oder metaphysischen Lebensrahmen mehr gibt, muß der Einzelne die inneren und äußeren Dimensionen seines Daseins selbst entwickeln. Der Pädagoge H.-J. Gamm übersieht nicht, daß der individuelle Spielraum empfindlich beschnitten ist: durch Tradition, Erziehung, Anforderungen der privaten und beruflichen Umwelt und gesellschaftliche Zwänge. Andererseits ist das Individuum auch Umwelt, fordert und formt seinerseits den anderen. Umgang mit sich selbst muß also als die subjektive Komponente eines Sozialisationsprozesses verstanden werden, dessen Richtung zwar weitgehend durch die objektiven Verhältnisse bestimmt ist, der aber doch eine Fülle individueller Gestaltungsmöglichkeiten und folglich auch sozialer Varianten einschließt.
Wo diese Möglichkeiten liegen, wie sie erkannt und genutzt werden können, das bespricht H.-J. Gamm unter Einbeziehung pädagogischer, psychologischer und soziologischer Erkenntnisse mit seinem Leser.