Kunerts Betrachtungen sind dem Heute ebenso verpflichtet wie der Ewigkeit. Scharf gedacht, pointiert formuliert, stets offen für Neugier und Überraschungen.
Seit vielen Jahren schreibt Günter Kunert fast täglich an seinem "Big Book", das er aber ganz und gar nicht als ein Tagebuch verstanden wissen will, über und gegen die uns umgebende Welt. Bissig und weise, melancholisch und mutig umspielt der Autor aktuelle Entwicklungen, folgt den Spuren der Vergangenheit und stellt neugierige Fragen an die Zukunft. Ein totes Pferd auf der kriegszerstörten Straße der Heimatstadt kann ebenso der Anlass sein wie eine Bibliothek der vergessenen Bücher oder das globale Problem drohender Überbevölkerung - Kunerts Nachdenken verharrt nicht im Tagesaktuellen, sondern nutzt es als Sprungbrett für pointierte und in die Tiefe gehende Gedankenbewegungen.
Er bekennt, dass er im Laufe der Jahre immer skeptischer gegen das Fiktive geworden ist. "Die Realität hat alle Fantasie übertroffen." Was nötig ist: ein nüchterner Blick auf das Faktische, unbedingt aber gepaart mit einem Ernstnehmen des Biographischen in all seinen Verwicklungen und Verstrickungen in die Wirklichkeit. Nur durch solch ein Verwebtsein entsteht Literatur, die den Anspruch erheben kann, Wesentliches über ihre Zeit und die Menschen auszusagen. Und so über die unmittelbare Gegenwart hinauszugehen.