Ist es Mord, ist es Totschlag? Der allseits geachtete Facharbeiter Manfred Gütlein erschießt den Finanzdezernenten der Stadt, in der er wohnt, da er um seine Existenz fürchtet, auch um das Haus, das er sich zeitlebens erträumt und, unter Mühen, erbaut hat. Gewiss ist er der Täter, aber ist er nicht zugleich auch ein Opfer des Zusammenpralls zweier sich bisher feindlich gegenübergestandenen Gesellschaftsentwürfe ?
Erik Neutsch, der in der DDR zu den meistgelesenen Schriftstellern gehörte, weil er in seinen Büchern die Intentionen vieler Menschen traf, geht in diesem Roman den Ursachen nach, die zu dieser Tat Gütleins führten. Mit weitgehend dokumentarischem Stil, ohne auf das Innenleben seiner Figuren zu verzichten.
»Totschlag« ist eine erste Abrechnung mit dem, was - offenbar im Gegensatz zu ihm - andere als eine »geglückte« Vereinigung beider deutscher Staaten betrachten. Kritisch war er schon immer. Er bleibt dabei. Es gibt in diesem Roman keinen Bruch zwischen dem Autor Neutsch und seinen früheren Werken. Nach einer Zeit des Bedenkens und - wie er sagt - des »bewussten Schweigens« legt er in seinem erstmals 1994 erschienenen Roman wiederum ein Zeugnis seines erzählerischen Könnens vor.
LESEPROBE:
Schon in der ersten, dem Interview vorausgegangenen redaktionellen Meldung über eine vom Magistrat der Stadt einberufene Pressekonferenz war er mit seinen auch später für ihn typisch harschen Worten zitiert worden. Die Kaufverträge, erklärte er, die vor einem Jahr abgeschlossen wurden, entbehrten jeder Gesetzlichkeit und seien daher null und nichtig. Gott sei Dank, könne er da nur sagen, und zwar in Anbetracht des katastrophalen Finanzdefizits im städtischen Haushalt, sei bisher noch keine Eintragung in die Grundbücher erfolgt, was allein als Nachweis für die Rechtmäßigkeit von Besitz an jedem Quadratmeter Land zu gelten habe ...
Das löste sofort Unruhe aus und erhob sich schließlich zu einem Aufschrei aller Betroffenen, der Häuslbauer in den Siedlungen ROSENGARTEN, AM HEIDERAND, VOGELSANG, in der Ortslage FREIIMFELD und selbstredend der FROHEN ZUKUNFT. Sein Echo hallte über die Telefone in die Amtsstuben des Finanzdezernats, blockierte für mehrere Tage die Leitungen, ließ bei jedem Anruf die Sekretärinnen erzittern, weil sie ihre Herren Bürovorsteher, die schon nicht mehr an die Apparate gingen, verleugnen und selber die Leute abwimmeln mußten, und überschüttete selbst die nun wirklich recht arg- und schuldlosen Putzfrauen dort, ...