Nein, dieses Buch ist weder eine Stadtgeschichte noch ein „Stadtdurchführer“, wie es ein polnischer Freund des Verfassers in etwas abenteuerlichem Deutsch meinte, sondern es ist gewissermaßen eine Liebeserklärung an die zweitgrößte Stadt des Nachbarlandes und an deren Menschen – allerdings mit den Augen eines ebenso neugierigen wie kundigen DDR-Schriftstellers Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts gesehen. Der in Bansin geborene Autor Egon Richter wollte weder eine Stadtgeschichte noch einen Tourismusführer schreiben. Menschengeschichten zieht er historischen Fakten vor, auch wenn diese mehr oder zwangsläufig angeführt werden (müssen), um die Stadt und ihre Leute besser zu verstehen:
Dem Autor geht es um anderes. Nur soviel sei noch gesagt: Als der polnische König Boleslaw Schiefmund auf einem der zahlreichen Befriedungsfeldzüge in das Land der Wenden im Jahre 1122 jene pommersche Festung erreichte, von der hier die Rede ist und die später Hansestadt und Regierungssitz wurde, fand er dort einen Herzog mit Namen Wartislaw vor, von dem wir annehmen müssen, dass er das Geschlecht der Greifenherzöge, wie sie nach ihrem Wappentier genannt wurden, begründete. Den Namen der Festung aber wissen wir nicht. In Boleslaw Schiefmunds Sprache hieß sie Szczecin.
Bei seinen Erkundungen der damals dreihundertachtundfünfzigtausend Einwohner zählenden polnischen Metropole hält sich Richter an die Szczeciner wie zum Beispiel an einen Architekten und Städteplaner, einen Lehrer und Büchersammler, an eine Dichterin und eine Postangestellte, an eine Vizedirektorin einer der neun allgemeinbildenden Oberschulen, an eine Wirtschaftsfachmann und Pionier des polnischen Schulwesens nach dem Krieg und an den Begründer des neuen Hafens sowie an den einzigen weibliche Kapitän der polnischen Handelsflotte und an Schiffbauer, Taxifahrer und Milizionäre sowie an Striptease-Girls und leichte Mädchen – die es schon damals dort gab – und an einen bekannten Maler, der einen schreienden, protestierenden und in drei Sprachen redenden Papagei sein eigen nennt, und – um wenigstens einen Namen zu nennen – an Krystyna N., Szczecins bedeutendste und versierteste Fotografin.
Und so spiegeln sich in diesem Buch, das weder eine Stadtgeschichte noch ein Stadtdurchführer sein will, nicht zuletzt auch das wechselvolle und teils sehr schwierige Verhältnis zwischen Polen und Deutschen, zumal während der deutschen Besatzung und damalige Hoffnungen auf Frieden, Freundschaft und Sozialismus.