Ein alter Mann wird in den Tod getrieben. Durch Worte. Ähnlichkeiten zu der »verlorenen Ehre der Katharina Blum« sind unvermeidlich.* Doch die vorliegende Geschichte spielt 40 Jahre später und die Rolle der Boulevardblätter, die eine Menschenjagd inszenieren, wird von einem Internet-Mob übernommen, der heutzutage über ganz andere Möglichkeiten verfügt, als die altehrwürdigen Schmuddelblätter des letzten Jahrtausends. Blitzschnell und unaufhaltsam zeigt die Masse, wie persönlich sie trotz Anonymität werden kann. Aus dem Nichts und wegen einer Nichtigkeit entsteht ein Shitstorm und wird ein Menschenleben zerstört. Wird an Vernunft oder gar Ehre appelliert, zerfällt die Masse sofort in Individuen die, weiterhin anonym, nicht zu überzeugen sind. Immer ist jemand da, der weitermacht; aus Eigennutz, aus Gleichgültigkeit, aus Bosheit. Wer sich gegen den Sturm zu stellen sucht, droht ebenfalls zu seinem Opfer zu werden. Kollateralschäden sind vorprogrammiert. In diesem Fall wird ein alter Mann geopfert, der sich aus mangelnder Erfahrung im Umgang mit sozialen Medien in eine unglückliche Position begibt und damit zum Spielball streitender Interessen wird. Aber es könnte jeden treffen. Von den Qualitätsmedien fehlt indes jede Spur. Ihre Relevanz scheint auf dem Rückzug - zu unflexibel, zu langsam zu träge, steckengeblieben im Flussschlamm der Geschichte oder gar aufgesprungen auf den Zug.
Wir erleben die jahrhundertealte Hexenjagd, diesmal ohne Heugabeln und Fackeln, dafür mit Shitstorm, Social Media und Smartphone.
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* Eine Bezugnahme im Werktitel wurde durch die Rechteinhaber an Heinrich Bölls Buch »Die verlorene Ehre der Katarina Blum« untersagt. Gleichwohl bleibt dies Werk auch eine Hommage an den großen Schriftsteller und die Relevanz seiner Gedanken in der heutigen Zeit.