Eigentlich war niemand besser vorbereitet. Keiner weiß mehr über Angriffskriege. Keiner hat je lauter seine Geschichte befragt. Aber als Vladimir Putin die Ukraine überfiel, boten die Musterschüler der Vergangenheitsbewältigung ein diffuses Bild. Um die ganz großen Worte nie verlegen, aber unberechenbar in ihrem Tun, verunsichern die Deutschen seither ihre Verbündeten und irritieren noch ihre Feinde. Und die Deutschen selbst? Sie zerfallen: Die einen wissen jeden Tag aufs Neue genau, was zu tun ist. Die anderen belustigen sich in Dauerpolemik oder haben noch gar nicht aus der Schockstarre herausgefunden. Ganz zu schweigen von den Propheten, die mit unheimlicher Begeisterung schon wieder Geopolitik diskutieren, als wär's ein Schachspiel.
Kriegszeiten sind Wahrheitszeiten, sagt die Philosophin Bettina Stangneth. Die Deutschen sind schlicht nicht das, was sie in den Augen anderer gern wären. Bei aller Neigung zur Selbstbespiegelung gelingt es ihnen nicht einmal, aufrichtig in den Spiegel zu sehen. Aber wenn eine große Wirtschaftsmacht sich anschickt, auch noch eine der größten Armeen der Welt aufzustellen, dann muss die Welt sich zu Recht fragen, warum die Deutschen so große Probleme damit haben, sich als verlässliche Partner zu erweisen.