Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren: Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, das Kinderheim Sophienlust gehören wird.
Die Dämmerung senkte sich über Sophienlust herab. Purpurrot färbte sich der Himmel. Denise von Schoen-ecker trat vor die Tür, um diesen herrlichen Anblick zu genießen. Doch wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich ein Junge vor ihr. Sie schätzte ihn auf etwa zehn Jahre. Das dunkle Haar hing ihm wirr in die Stirn, und sein Gesicht zeigte einen sehr entschlossenen, aber auch trotzigen Ausdruck. Er war keine Spur verwirrt, als sie ihn fragte, wer er sei.
»Tonio«, erwiderte der lakonisch.
»Und was möchtest du, Tonio?«, fragte Denise freundlich, denn es stimmte sie nachdenklich, dass ein Junge dieses Alters, den sie noch nie gesehen hatte, zu so später Stunde im Gutshof von Sophienlust erschien.
»Hierbleiben«, erwiderte er kurz.
»Dann komm erst mal herein«, forderte sie ihn auf. »Aber du musst mir schon ein wenig näher erklären, warum du hierbleiben willst und wer dich geschickt hat.«
Der Junge trottete hinter ihr her. Auf dem Rücken hatte er einen kleinen Rucksack, in der Hand trug er eine Schultasche. Er war gut gekleidet und sah nicht so aus, als wäre er lange herumgelungert, was ja manchmal auch bei erst Zehnjährigen vorkam.
Im Büro angekommen, machte Tonio keine Anstalten, von sich aus etwas zu sagen. Denise drückte ihn auf einen Stuhl und bot ihm Kekse an, von denen er ohne Schüchternheit ein paar nahm und in den Mund stopfte. Hunger hatte er offensichtlich.
»Wer hat dich hergeschickt?«, fragte Denise.
»Niemand«, kam die rasche Antwort. »Hier ist doch ein Kinderheim?«
»Woher weißt du das?«
»Von Frieder. Er hat gesagt, dass hier jeder aufgenommen wird. Und nun