Dieser beklemmende Report schildert die Ergebnisse einer Spurensuche, auf die sich Barbara Kühl kurz nach der Wende nach dem ehemaligen Quarantäne- und Wohnlager Losten in der Nähe von Wismar begeben hatte. Scheinbar waren dieses Lager - nach dem Ende des zweiten Weltkriegs Durchgangsstation für Tausende Vertriebene und für viele von ihnen auch ihre letzte Lebensstation – und der Friedhof „Moidentiner Wald“ schon völlig in Vergessenheit geraten.
Aber 1992 konnte Barbara Kühl noch Menschen finden, die selbst in dem Lager gelebt hatten oder die dort gearbeitet hatten und mit ihnen über diese Zeit sprechen. Sie erfuhr von den unvorstellbar schwierigen Bedingungen, von der qualvollen Enge und dem Minimum an Verpflegung, von der einsetzenden Kälte und von den fast nicht vorhandenen Möglichkeiten der Körper- und Wäschepflege. Sie erfuhr aber auch von Lebenswillen und von Solidarität und auch von erstaunlich schönen Geschichten an einem traurigen Ort.
„Da erinnert sich, wer selbst Bewohner des Waldlagers gewesen ist - der Junge, der Heimkehrer, die Mutter von zehn Kindern, das junge Mädchen. Und es erinnern sich die damals jugendliche Krankenschwester, die Bäuerin, die Arztfrau, der Totengräber an Bedrückendes und Kurioses, an scheinbar Alltägliches und Außergewöhnliches und Unglaubliches, an mancherlei Fröhlichkeit und fast Vergessenes. Und an die Charaktereigenschaften der Menschen unter Bedingungen, die einer besonderen Gesetzmäßigkeit unterlagen in diesem zufälligen Zusammenleben, einer Art Ausnahmezustand, der alles hervorzubringen vermag, wessen der Mensch fähig ist.“
LESEPROBE:
"Ich muss davon erzählen! Ich muss!", sagt der hochgewachsene, für sein Alter außerordentlich sportlich wirkende Mann. "Es gehört für mich einfach zusammen, das und Losten. Es war wie ein langer, bedrückender Albtraum, seit mehrere kranke Kameraden und ich am 5. November 1945 aus sowjetischer Gefangenschaft entlassen wurden..."
Seine Odyssee hatte viele Stationen, vom Tod einiger Kameraden über das Aufweichen von schwarzem, hartem Brot mit Schnee, vom wunden Gaumen und den Visionen vom guten Essen, vom Entfernen aus dem Zug in Polen, dem Marsch zu Fuß und dem Auffanglager in Frankfurt/Oder und schließlich der Mitteilung, Schlesier, Pommern und Ostpreußen könnten nicht nach Hause, weil die Gebiete jetzt zu Polen gehörten. Was nun? Erneute Flucht und Aufgreifen durch die Militärpolizei in Berlin, endlich Abschieben mit Transport nach Mecklenburg.