Das andere Vaterunser
Hunderttausende treten aus der Kirche aus. Sollen Dogmen erhalten bleiben, ist es notwendig, Glaubwürdigkeit zu bewahren, sowie mit Mut und Klugheit die Traditionen aufrecht zu erhalten und Reformen oder Ergänzungen anzugehen. Das wird dann zwingend, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse unumkehrbar sind und sich Rechtsstaatlichkeit nicht mehr beugen lässt. Von der Theologie wird in einem solchen Fall erwartet, dass aufgeblähte Strukturen, Überhöhungen und auch strafrechtliches Fehlverhalten gerichtet werden. Ein jahrzehntelang verordnetes Lehramtsschweigen gefährdet den Kulturkreis der Theologie in gleicher Weise. Derartiges Verhalten führt zur Vertrauensfrage. Für jede Religion ist das fatal, weil in der Folge die Gläubigen aus der Kirche und aus der Religion austreten oder sich in eine Stille zurückziehen, die in einem Irrtum führen kann. Eine lebendige Religion zweifelt und strauchelt nicht an Herausforderungen, sondern meistert diese ohne Malheur. Eine gesunde Theologie muss sich für die Philosophie interessieren, um auf Konflikte vorbereitet zu sein. Auf diese Weise können dann an den Schlüsselstellen Theologie und Philosophie zusammengeführt werden. Derartige Übungen sind kein Menetekel, sondern zwingend notwendige Dialektik, um den Glauben letztendlich noch sicherer und stärker werden zu lassen. Eines dieser Themen ist das Gebet, das in allen Religionen und auch im Buddhismus von zentraler Bedeutung ist. Das Gebet wirkt als Zement in allen Religionen und bleibt ein verbindendes Prinzip, auch für alle die aus der Kirche ausgetreten sind und auf sich selbst gestellt bleiben. Diese Gebetsbetrachtung richtet sich an alle Opfer von schwerer Gewalt und Missbrauch. Zu oft wurden sie alleingelassen. Das andere Vaterunser spiegelt eine andere Betrachtungsweise wider, und zeigt dialektische Schwachstellen an, die nicht mehr tragfähig sind.