„Perm’-36“ im Ural ist die einzige Gedenkstätte in Russland, die sich auf dem Gebiet eines ehemaligen sowjetischen Straflagers befindet. Nachdem sie im Jahr 2014 von zivilgesellschaftlicher in staatliche Hand überging, nahm die neue Leitung grundlegende Veränderungen vor: So schloss man unter anderem eine Ausstellung zu ihren ehemaligen Insassen – den Dissidenten und den Kämpfern für die nationale Unabhängigkeit ihrer Sowjetrepublik. Zudem stellte man neue Schautafeln auf, auf denen der Beitrag der GULag-Häftlinge zum Sieg im „Großen Vaterländischen Krieg“ betont wurde. Diese konzeptuelle Neuausrichtung wurde in Russland in den Medien wie auch in sozialen Netzwerken lebhaft diskutiert.
In ihrer Untersuchung stellt Anke Giesen die verschiedenen Facetten der Debatte über die Veränderungen in „Perm’-36“ dar und analysiert sie. Der Leser macht Bekanntschaft mit den divergierenden „Gedächtnisinteressen“ in der Bevölkerung, erhält aber auch Einblick in die derzeitigen machtpolitischen Gegebenheiten und deren Einfluss auf die Entwicklung der Erinnerungskultur in Russland.
So wird deutlich, was im ›Land mit der unvorhersagbaren Vergangenheit‹ einer tief greifenden Aufarbeitung von stalinistischem Terror und der Repressionen der späteren Sowjetzeit entgegensteht, obwohl entsprechende Erfahrungen und Erinnerungen dort fast jede Familiengeschichte durchziehen.